Ein Mensch mit einem offenen Herzen ist in der Lage, sich achtsam, gütig und mitfühlend auf andere zu beziehen.
Ein offenes Herz zeugt von einer Geistes- und Lebenshaltung, die dem Leben, den Menschen, den Geschöpfen in einer offenen, anteilnehmenden und liebevollen Weise entgegentritt. Ein solcher Mensch kreist nicht um sich, um seine Interessen, um seine Probleme, um die eigenen Vorlieben und Abneigungen, sondern bezieht sich in einer achtsamen, gütigen und mitfühlenden Weise auf alles, was in seinem Leben vorhanden ist. Dieses schließt sowohl die eigene Gedanken- und Gefühlswelt mit ein, als auch all das, was um ihn herum geschieht.
Eine solche Haltung, die von Liebe und einfühlender Aufmerksamkeit zu allen Lebenwesen bestimmt wird, widmet sich dem Wohlergehen aller Lebewesen.
Eine solche innere Haltung wird im Mahayana-Buddhismus Bodhicitta genannt. Bodhi bezieht sich dabei auf die Totalität des Lebens und beinhaltet ein Streben nach Hohem und Wesentlichem, nach innerer Erleuchtung, während Citta Herz oder Geist bedeutet. Bodhicitta meint die selbstlose Entschlossenheit eines Menschen, sein Leben nicht in Eigennutz und Egoismen zu verbringen, sondern sich dem Wohlergehen anderer Wesen zu widmen. Die Belange der anderen im Blickfeld zu haben, das Wohl der anderen sind Anliegen seines Herzens. Diese selbstvergessene, altruistische Einstellung wendet sich dem Leben in all seinen Gestaltungen und Formen mit Nächstenliebe zu. Liebe und einfühlende Aufmerksamkeit zu den Wesen sowie zur Natur wie auch Mitgefühl mit den leidenden Lebewesen kennzeichnet ein von diesem Geist geprägten Herz.
Ein zutiefst offenes Herz erkennt die Trennung zwischen Du und Ich als Illusion.
Der Geist eines unverfälschten Herzens ist aus dem Grunde offen und dem Leben zugewandt, weil er tief erkennt, dass zwischen ihm und den anderen nicht wirklich eine Trennung besteht. Die Fixierung auf das eigene Ego, auf mein und dein, ist ihm als Illusion bewusst. Er erkennt, dass der Glaube an ein Ego nur eine Vorstellung von Gedanken ist. Einem offenen Herzen geht es vielmehr darum, alle Zentrierungen auf das eigene Ego zu überwinden. Es bemüht sich intensiv, frei von Begierde und Verlangen oder frei von Ärger, Wut und Zorn zu sein. Ein solch offener Geist ist bestrebt, ohne verwirrte und verblendete Gedanken, weise und klar zu leben. Die eigene, innere Klarheit und Weisheit sollte zudem erkennen lassen, sollte er von negativen und unheilsamen Eigenschaften oder von törichten und uneinsichtigen Geisteshaltungen bestimmt sein.
Ein aufrichtiges, redliches Herz ist frei von Geistesgiften und emotionalen Befleckungen.
Allein das aufrichtige, redliche Herz besitzt einen Geist, der frei von geistigen Befleckungen und emotionalen Trübungen wie Gier und Hass oder Unwissenheit und Verblendung ist. Ein solches Herz ist zugänglich gegenüber allem, das gut und heilsam ist. Die Fähigkeit, offenherzig zu sein, ist Ausdruck eines reifen und geistig gesunden Menschen. Er ist empfänglich für das Gute, das ihm zuteil wird und gibt von seinen eigenen inneren wie äußeren Schätzen freiwillig und großzügig ab. Ein verschlossenes Herz dagegen äußert sich darin, dass es engherzig alles verwahrt und zurückhält. Es kann nicht geben und teilen. Neurotisch sucht es nach all dem, das Leid anzieht und meidet all dasjenige, was heilsam ist und ihm und anderen Glück und Freude bringen könnte. Verliert ein Mensch die Geisteshaltung des Bodhicitta, verliert er auch sein offenes Herz. Denn der Geist kann nicht mehr wahrhaftig sein, wenn das Herz von emotionalen Illusionen und nebulösen Unklarheiten besetzt ist. Unwissenheit, Neid, Stolz, der Glaube an ein Ich und andere unheilsame Dispositionen sind dann an die Stelle eines offenen, unverstellten und weiten Herzens getreten.
Auch ein dem Leben gegenüber offenes Herz braucht Zeiten der Stille und Ruhe.
Ich denke nicht, dass es bei einem offenen Herzen darum geht, immer zu jedem und zu allem jederzeit ansprechbar zu sein. Niemand kann ständig mit einem weit geöffneten Herzen durch die Welt laufen und alles auf sich einströmen lassen. Ein offenes Herz muss nicht für alles und alle permanent Zeit und Kraft haben. Das wäre schlichtweg eine Überforderung. Auch die Kräfte eines offenherzigen Menschen sind beschränkt. Ähnlich wie das physische Herz sich immer wieder zusammenziehen muss, d.h. sich schließen muss, um das Blut weiter zu pumpen, braucht auch eine dem Leben und den Menschen gegenüber offene Geisteshaltung Phasen der Ruhe und der Erneuerung. Sie bedarf immer wieder Zeiten, in denen sie sich von eigenen und fremden Erwartungen und Ansprüchen frei machen kann. Es geht eher darum, sein eigenes Herz immer wieder zu läutern und sich nach hohen Prinzipien wie z.B. nach Bodhicitta auszurichten. Zeiten der Stille, der Ruhe, der Meditation und der Besinnung sind nötig, damit ein Mensch, der mit einem weit geöffneten Herzen zu leben versucht, auch wirklich die Kraft haben kann, diesen offenen Geist umzusetzen und zu verwirklichen.
Offenheit im Herzen ist Ausdruck innerer Freiheit, die nicht von Leidenschaften und emotionalen Wallungen beeinträchtigt ist.
Aktionismus und blinde Geschäftigkeit sind kein Zeichen von Offenheit und Klarheit, sondern zeugen mehr von einem innerlichen Getrieben-Sein und einem Mangel an Weisheit und Durchblick. Offenheit wohnt vielmehr im Herzen als das Ergebnis einer inneren Freiheit. Sie bedeutet, frei zu sein von allen Geistes- oder Herzensverunreinigungen, die Leiden schaffen. Ein offenes Herz, einen aufrichtigen Geist besitzt der Mensch, der von emotionalen Leidenschaften und geistigen Wallungen und Erregungen frei ist. Kreativität und Einfallsreichtum, Liebe und Güte wiederum entströmen diesem offenen Herzen.
Fotoquelle: Maria Clarissa Eitel